Während die Debatte um die EU-weite Chatkontrolle zumindest vorerst vom Tisch ist, lieferte die vergangene Woche im Bundestag einen bemerkenswerten – und besorgniserregenden – neuen Impuls.

Der SPD-Abgeordnete Sebastian Fiedler formulierte eine Forderung, die technisch wie gesellschaftspolitisch tief blicken lässt: Er will den europäischen Markt für Endgeräte faktisch regulieren, indem Hardware technisch unfähig gemacht wird, kinderpornografisches Material überhaupt anzuzeigen oder zu verarbeiten:

Was oberflächlich nach legitimem Kinderschutz klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als technischer Albtraum für die Grundrechte:

Die von Fiedler geforderte gerätebasierte Filterung ginge weit über das hinaus, was bisher unter dem Label „Chatkontrolle“ diskutiert wurde. Anstatt nur die Kommunikation zu überwachen, müsste jedes Endgerät eine permanente, tiefgreifende Analyse aller angezeigten Inhalte vornehmen.

Wie seine Forderung technologisch umgesetzt werden soll, läßt Fiedler bezeichnenderweise offen. Kein Wort darüber, wie eine solche Maßnahme realisiert werden kann, ohne dass sie zwangsläufig in eine anlasslose Totalüberwachung sämtlicher digitaler Inhalte auf allen Endgeräten mündet.

Es gibt keine Blaupause für eine Technologie, die selektiv "nur die Bösen" scannt, ohne gleichzeitig die Integrität aller Endgeräte und die Privatsphäre jedes Einzelnen zu untergraben.

Eine Hintertür, die für den Staat gebaut wird, ist letztlich ein offenes Fenster für jeden Angreifer. Indem Fiedler die technische Realität ignoriert, entzieht er sich der notwendigen Debatte darüber, wo die Sicherheit endet und die digitale Totalüberwachung beginnt.

Das Dilemma: Wenn die AfD die „richtigen“ Fragen stellt

Die politische Gemengelage macht die Sache kompliziert. Ausgerechnet die AfD hat den Antrag Keine digitale Überwachung – Gegen jede Form einer Chatkontrolle eingebracht. Und ist gleichzeitig ein Muster, das man in der öffentlichen Debatte immer öfter beobachten kann: Die AfD entdeckt Themen für sich, die in der digitalen Zivilgesellschaft verwurzelt sind und inszeniert sich als großer Anwalt der Bürgerrechte - wie hier gegen die Chatkontrolle oder den Antrag Digital Services Act abschaffen.

Das stellt das Parlament vor ein moralisches Dilemma: Stimmt man einem inhaltlich richtigen Antrag zu, wenn er von einer als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften Partei kommt? Im parlamentarischen Alltag führt das meist zu einem Reflex: Anträge werden aufgrund ihrer Herkunft abgelehnt oder in Ausschüssen beerdigt.

Fazit: Wir dürfen das Feld nicht den Populisten überlassen

Wir müssen eines klar festhalten: Nur weil die falschen Leute die richtigen Fragen stellen, werden die Fragen nicht falsch.

Das Problem ist jedoch: Wenn die demokratische Mitte – vertreten durch Politiker wie Fiedler – die technischen Realitäten ignoriert und Grundrechte leichtfertig aufs Spiel setzt, treibt sie die Bürger in die Arme derer, die Freiheitsrechte nur dann verteidigen, wenn es in ihr eigenes Narrativ passt.

Wir brauchen eine ehrliche Debatte über Sicherheit, die ohne den Ausverkauf unserer Privatsphäre auskommt.

Abspann

Die Privatsphäre heißt so, weil sie privat ist. Das sollte auch die SPD langsam kapieren.
Das Internet ist großartig. Allerdings gibt es noch viel zu tun, damit es so bleibt.

Weitere Informationen

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