Alle sieben Jahre verwandelt sich die Stadt - nicht langsam, sondern mit einem Paukenschlag: Was ich meine, nennt sich "Grenzgang" und dieses Wort ist eigentlich eine Untertreibung für den Ausnahmezustand, der drei Tage lang den Takt in Biedenkopf bestimmt.
Im Kern ist der Grenzgang ein historisches Fest, dessen Wurzeln bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichen. Damals (und in den Jahrhunderten danach) war es überlebenswichtig, die Grenzen des Stadtwaldes zu kennen und die Grenzsteine zu kontrollieren. Daraus entstand eine Tradition, die heute das größte und wichtigste Ereignis im Kalender eines jeden Biedenkopfers ist.
Das Fest findet nur alle sieben Jahre statt. Drei Tage lang ziehen Tausende – organisiert in den traditionellen "Gesellschaften" (Männergesellschaften und Burschenschaften) – durch den Wald, um symbolisch die Grenzen abzugehen.
Mehr als nur Wandern
Der Grenzgang ist ein Spektakel. Angeführt wird der Zug vom Bürgeroberst zu Pferd, begleitet von den Wettläufern, dem Mohr (der traditionell die Grenzsteine symbolisch säubert) und den Fahnenträgern.
Im Wald, auf den Frühstücksplätzen, wird der Grenzgang zum Volksfest. Es wird gegessen, getrunken, gesungen und gefeiert. Hier trifft man Menschen wieder, die man Jahre nicht gesehen hat.
Ich hatte selbst die Ehre, beim letzten Grenzgang 2019 aktiv dabei zu sein – als Reiter der Männergesellschaft Hain-Strasse. Was soll ich sagen? Es war unbeschreiblich. Gerade wenn man selbst ein Teil dieses Spektakels ist, versteht man erst diese Faszination und Tradition.
Als Reiter im Zug war mein persönlicher Gänsehautmoment, als wir morgens auf dem Marktplatz einritten und die Masse an Menschen sahen, die nur für diesen Moment leben.
Das Herz des Festes: Gemeinschaft
Vermutlich ist es schwer nachzuvollziehen, was es bedeutet, wenn die ganze Stadt im gleichen Rhythmus atmet, die gleichen Lieder singt und das gleiche Ziel hat.
Der wahre Zauber des Grenzganges ist die Gemeinschaft. Es ist die Zeit, in der alle Biedenkopfer, egal wo auf der Welt sie inzwischen leben, nach Hause kommen.
Man kann den Grenzgang nicht wirklich erklären. Man muss ihn fühlen. Man muss morgens um 5 Uhr von den Böllerschüssen der Kanoniere geweckt werden und das Adrenalin spüren.
Als ich 2019 nach drei Tagen voller Emotionen, wenig Schlaf und unzähligen Kilometern zu Fuß und zu Pferd erschöpft, aber glücklich war, wusste ich: Das war es wert.
Der Grenzgang 2026 gieht naus!
Wie es der Brauch verlangt, trat der Grenzgangsverein am vergangenen Wochenende zusammen, um die alles entscheidende Frage zu stellen. Das Ergebnis der Versammlung war selbstverständlich eindeutig. Der Satz, auf den alle gewartet haben, ist offiziell bestätigt und ausgesprochen: „Der Grenzgang gieht ’naus!“
Der nächste Grenzgang ist vom 13. bis 15. August 2026. Und ich kann es kaum erwarten.