Ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, als die ersten Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 veröffentlicht wurden und die AfD mit 12,6% zum ersten Mal in den Bundestag einzog. Nichts tun ist keine Option mehr, dachte ich damals und trat in die SPD ein. Fast auf den Tag genau acht Jahre später habe ich die Partei wieder verlassen. Meine Beweggründe für diesen Schritt habe ich hier aufgeschrieben.

Erste Engagements
Mein Eintritt in die Partei war ein erster Schritt; sich einzubringen und irgendwie an der Parteiarbeit teilzunehmen, der zweite. Ich bin offen an die Sache heran gegangen und habe mich an allem versucht, was sich ergeben hat und einigermaßen interessant erschien.
Los ging es mit der Teilnahme an einem Debattencamp des Unterbezirks Marburg-Biedenkopf. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das Thema "Digitalisierung in der Parteiarbeit und wie man mit neuen Formaten mehr Menschen erreicht". Der Workshop war gut, hat Spaß gemacht und wir haben einige vielversprechende Ideen erarbeitet. Blöd war nur, dass die Ergebnisse anschließend in irgendeiner Schublade verschwunden sind, denn es gab weder eine Fortsetzung noch eine Umsetzung der besprochenen Vorschläge. Komisch, dachte ich damals, warum haben wir uns überhaupt zusammen gesetzt?
Wirtschaftsthemen, die Stadtpolitik interessieren mich schon sehr, dazu verfolge ich die Entwicklungen in meiner Umgebung und beteilige mich an Diskussionen und Gesprächen. Und Gespräche habe ich viele geführt, mit verschiedenen Repräsentanten der Partei - die allesamt eher ernüchternd waren. Ob das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, die Chatkontrolle oder MoVe35, egal welches Thema: In fast allen Gesprächen wurde schnell klar, dass andere Meinungen wenig Bedeutung hatten und es eigentlich nur darum ging, die Position der SPD zu verteidigen.
Gleiches bei den sogenannten Dialogveranstaltungen, die eigentlich mit dem Ziel durchgeführt werden, Meinungen der Mitglieder zu sammeln und in die politische Arbeit einzubeziehen. Aber stimmt das wirklich? Eigentlich stehen die Entscheidungen doch bereits fest und die Dialoge dienen selten dazu, den beschlossenen Kurs zu verändern. Vielmehr wird um Zustimmung geworben und die Parteiführung verteidigt ihre Entscheidung.
Ortsverband und Digitales
Na, wenn es bisher nicht so gut geklappt hat, vielleicht läuft es im Ortsverband oder im Digitalen besser? Die Ortsverbände sind die lokale Verankerung der Partei, hier werden Kandidaten ausgewählt, Meinungen gebildet. In meinem Verband war nicht wirklich viel los, im Schnitt waren sieben, acht Mitglieder anwesend. Diskutiert wurde viel, bewirkt wurde nichts. Eine schöne Erfahrung war es, als ein Antrag im Rahmen der Move 35 Auseinandersetzung von einem Vorstandsmitglied kurz und knapp abgewiesen wurde.
Die Ortsverband-HomePage auf Facebook ist tot, wer dafür zuständig ist, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Apropos Facebook, es gibt ein Mitgliederforum mit knapp 234 Mitgliedern. Ganze 10 Beiträge wurden im laufenden Jahr bisher verfasst, hauptsächlich Einladungen zu Veranstaltungen wie Gartenpartys und Frühjahrsempfängen. Ein echter Austausch oder Diskurs findet auch hier nicht statt, die Mitglieder waren selbst während der Move35-Kampagne äußerst zurückhaltend.
Ich habe trotzdem fleissig kommentiert und geschrieben. Dabei ist mir ein Schlagabtausch mit einem Vertreter des Fraktionsvorstands im Gedächtnis geblieben. Es ging um die Stellungnahme der IHK zum Move35-Konzept.
Das SPD-Vorstandsmitglied argumentierte, die Haltung der "IHK & Co." sei falsch und endete (nach einigen Hin und Her, in denen keine der beiden Seiten nachgeben wollte) mit seinem bemerkenswerten Hinweis, es sei „immer schwierig, von ‚der‘ Wirtschaft zu sprechen“. Dabei ignorierte mein Gegenüber, dass ich selbst ein Vertreter der Wirtschaft bin und einen guten Überblick über die Sichtweise anderer Unternehmer habe, natürlich auch durch meine Tätigkeit in der IHK-Regionalversammlung.
Beziehung zur Wirtschaft
Und damit komme ich zum Verhältnis der SPD zur Wirtschaft, das ich bei meinem Eintritt völlig anders eingeschätzt habe. Denn eigentlich hat die SPD tatsächlich kein Verhältnis zur Wirtschaft. Obwohl der freie Markt für Wohlstand sorgen kann, setzt man zu stark (oder gar ausschließlich?) auf staatliche Interventionen, Subventionen und Umverteilung als zentrale Instrumente, um soziale Gerechtigkeit voranzutreiben. Das schwächt nach meiner Auffassung die Eigenverantwortung und Innovationskraft von Unternehmen, ist nicht zeitgemäß und widerspricht meiner Überzeugung komplett.
Bezeichnend sind in dem Zusammenhang auch meine Erfahrungen mit dem Arbeitskreis Wirtschaft und Arbeit. Obwohl ich dort seit acht Jahren Mitglied bin, hat nicht eine einzige Zusammenkunft stattgefunden. Zuletzt habe ich im Juli 2023 von dem AK-Vorsitzenden gehört, der sich dafür entschuldigte, das aufgrund von Zeitmangel nichts passiert sei: "Das tut mir leid, weil mir die Etablierung des AK sehr am Herzen liegt." Wahnsinn, oder? Besser kann man das Verhältnis der SPD zur "Wirtschaft" nicht ausdrücken.
App "SPD - Meine Partei"
Erwähnenswert sind abschließend noch meine Erlebnisse rum um die App SPD - Meine Partei, die wir in der Firma entwickelt haben, insgesamt ein einziges Desaster. Irgendwann in 2021 kam nachts eine SMS: "Thomas, wir brauchen für unsere Parteiarbeit im Unterbezirk eine App!"
Natürlich war ich sofort Feuer und Flamme eine App zu bauen, die genutzt werden kann, um tatsächlich mal dichter an den Mitgliedern zu sein und sie mit guten Informationen und einem direkten Draht zur Parteispitze zu versorgen.
Nach zahlreichen Abstimmungsrunden mit einer Arbeitsgruppe des Unterbezirks haben wir die Anwendung dann für Apple und Android in der Firma entwickelt, mit nicht unerheblichem Aufwand. Nach gut drei Monaten war die App fertig - ohne dass es die Partei auch nur einen Cent gekostet hat.
Wir haben dann verschiedene Aktionen gestartet, um die App bekannt zu machen. Wir haben Inhalte erstellt, Videos gedreht (z.B. mit dem damaligen Geschäftsführer Lukas Erne https://www.youtube.com/watch?v=Njzx3YUBJBc) und vieles mehr, um die Reichweite zu erhöhen.
Leider fand die App trotzdem nur wenig Anklang. Lag es am Marketing? Wurde der Bedarf falsch eingeschätzt? Oder lag es am Altersdurchschnitt? Keine Ahnung. Statt der prognostizierten 2.000 möglichen Anwender haben die App letztlich nur rund 70 Mitglieder genutzt. Schwamm drüber.
Die größte Enttäuschung war jedoch die Reaktion der Berliner Parteizentrale. Statt unsere Initiative zu würdigen oder die inhaltlichen Möglichkeiten zu diskutieren, fokussierte man sich ausschließlich auf die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen und stellte das Projekt mehr oder weniger in Frage. Es war frustrierend, dass absolut niemand bereit war, aus unseren Erfahrungen zu lernen.
Nach zwei Jahren haben wir die App vom Netz genommen.
Schluss
Irgendwie hatte ich die Hoffnung auf Mitgestaltung, auf lebendige Diskussionen und darauf, dass die Meinungen der Basis gehört und wertgeschätzt werden. Doch statt echtem Dialog erlebte ich Scheinveranstaltungen, in denen Entscheidungen bereits feststanden. Statt offener Diskussion gab es eine konsequente Verteidigungslinie, die wenig Raum für abweichende Meinungen ließ. Und es schien oft, als würden die Mitglieder nur zum Abnicken von Beschlüssen gebraucht.
Darüber hinaus setzt die SPD viel zu stark auf staatliche Regulierung und Umverteilung, während ich als Unternehmer für Eigenverantwortung und eine freie Marktwirtschaft stehe. Der Fokus der SPD auf soziale Gerechtigkeit und staatliche Steuerung ist nicht neu, hat sich aber in den letzten Jahren wieder verstärkt.
Ernüchtert habe ich daher nach fast acht Jahren und ein paar Tausend Euro an Mitgliedsbeiträgen meine Mitgliedschaft am 12.08.2025 mit einem unspektakulären Dreizeiler beendet.